Herbstliches Morgen-Pilgern
oder
Sinnes-Begegnung mit dem Herbst
Die aufsteigende Morgensonne streut ihr Licht in die sich lieblich verfärbenden Blätter des Herbstwalds. An Sträuchern entlang des Weges lässt sie Beeren und Früchte aufleuchten. Blau, tiefes Schwarz, leuchtendes Orange, sattes Rot und das unverkennbare Pink der Pfaffenkappe – einfach herrlich! An den Zäunen glitzern einzelne Wassertropfen, Überbleibsel vom nächtlichen Regen; aufgereiht wie eine lose Perlenkette.
Ein weit schweifender Blick über die sanften Hügelzüge zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Auf den wieder kräftiger grünen Wiesen heben sich die Obstbäume tupfen artig und in warmen orangen Tönen ab. Ein lieblicher und zugleich lustiger Anblick!
Auf einer Bank sitzend und lauschend kann ich einzelne Vogelstimmen wahrnehmen. Für einen klitzekleinen Moment erinnert es mich auch an das Frühlingserwachen. In dieser wohltuenden Stille verweilend... vernehme ich das leise „Zack“, wenn Regentropfen von den mächtig wirkenden Bäumen über mir, direkt auf den Laub übersäten Boden fallen. Bei der leichtesten Brise des Windes hört es sich gar wie leicht einsetzender Regen an. Gleichzeitig dazu schweben sanft und leise bunte Blätter zu Boden. Schön zu beobachten wie sie schwerelos wirbeln, ganz so, als wären sie in einem lieblichen Tanz miteinander verbunden.
Meine Sinne sind erfüllt von dieser Schönheit! Gedanklich lasse ich mich einfach ein... und davon tragen. Erst ein spitzes Knacken lässt mich wortwörtlich aufzucken. Es ist das geräuschvolle und hart am Boden Aufschlagen einer Eichel. "Tong"! Und ich bin wieder in der Wirklichkeit angekommen. Spüre auch, wie das feuchte Holz der Bank durch den Stoff meiner Jeans dringt. Zeit also, um weiterzugehen.
Tiefer in den Wald vordringend entdecke ich auf dem feuchten und sehr reichhaltigen Waldboden da und dort Pilze. Sie ragen durchs dichte Laub, umringt von Efeu und einzelnen Tannenzapfen, ganz so, als wollten sie mir zurufen, hier, hier bin ich. Weiss-braune, an bogen- artigen Stängeln orange mit weissen Punkten und simpel braune. Diese Finger ähnlichen braunen, mit ihren lustigen Zwergen Mützen, stehen wie in Familienverbänden zusammen.
An einzelnen Baumstämmen haften grosse Schwämme. Schichtweise. An Strünken ziert sich sattes grünes Moos. "Wow", ich kann mich kaum sattsehen! Auch das Spiel mit meinen Füssen auf diesem herrlich weichen Waldboden hat etwas kindlich Schönes. Es raschelt so geheimnisvoll und verführerisch.
Ich geniesse diese Präsenz mit all meinen Sinnen!
Beim Weiterpilgern achte ich bewusster auf meinen Atem sowie meine Gefühle. Dabei nehme ich wahr, wie die Luft riecht: erdig, herb, stellenweise modrig und feucht.
Gefühlsmässig finde ich ganz latent und leise eine Melancholie tief drinnen in meinem Herzen. Wehmut! Ein „Aha“ verbunden mit der Inspiration – Loslassen! Ja, vertrauensvoll loslassen! Mit der Erfahrung, dass es der natürliche Übergang in den nächsten Zyklus ist. Denn eines ist mir gewiss, auf die Natur kann ich mich verlassen. Die Jahreszeiten - sie kommen und sie gehen. Einfach, still, leise und fliessend.
...UND PLÖTZLICH WEISST DU:
ES IST ZEIT, ETWAS NEUES ZU BEGINNEN UND
DEM ZAUBER
DES ANFANGS
ZU VERTRAUEN.
(MEISTER ECKHART)